„Die COVID-19-Pandemie mit ihren gesellschaftlichen und individuellen Einschränkungen stellt(e) eine erhebliche psychische Belastung dar, wobei neben den Gefühlen der Hilflosigkeit und Einsamkeit als Folge der Isolation auch eine Vielzahl von Ängsten zu beobachten war. Grundsätzlich rufen belastende Ereignisse wie Angst vor Ansteckung und Tod, finanzielle Sorgen, soziale Isolation und Überforderung, zum Beispiel durch Parallelität von Beruf und Kinderbetreuung während der Schulschließungen, psychische Reaktionen hervor – das ist erstmal normal und kein Zeichen einer psychischen Störung“, erklärte Stephan Herpertz, Präsident des Deutsches Kollegiums für Psychosomatische Medizin und Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des LWL-Universitätsklinikums Bochum. „So mehren sich aktuell die Hinweise, dass die Dynamik der psychischen Reaktionen unmittelbar dem infektionsepidemiologischen Geschehen zu folgen scheint – also mit abnehmenden Fallzahlen auch die psychischen Belastungen zurückgehen.“
Relativ konsistent zeigt sich über verschiedene Studien und Erhebungen hinweg, dass junge Menschen in der Pandemie psychisch stärker belastet waren als ältere und Frauen mehr als Männer. „So haben sich beispielsweise mehr junge Menschen und mehr Frauen als Männer während der Lockdowns einsam gefühlt“, berichtete Hans-Christoph Friederich, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM) und Ärztlicher Direktor der Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik am Universitätsklinikum Heidelberg. Allerdings: Einsamkeit sei bereits vor der Pandemie ein weit verbreitetes, aber kaum adressiertes Phänomen gewesen, dessen gesundheitliche Folgen noch viel zu wenig bekannt und beachtet seien.
Als besonders vulnerabel erwiesen sich während der Pandemie erwartungsgemäß jene Menschen, die schon zuvor mit einer psychischen Erkrankung zu kämpfen hatten: So zeigt eine aktuelle kanadische Übersichtsarbeit mit 53 Studien und insgesamt 36.485 Betroffenen mit Ess-Störungen einen starken Anstieg von Angstzuständen, Depressionen und Verschlechterungen der Ess-Störung. Die Krankenhauseinweisungen für alle Ess-Störungsentitäten stiegen dem Review zufolge gegenüber Vor-Corona-Zeiten im Durchschnitt um 48 Prozent. „Ausschlaggebend war hierbei vor allem die Trias aus Verlust der Tagesstruktur, Rückgang sozialer Beziehungen und der häufig kompensatorisch gesteigerte Konsum von digitalen Medien“, so Herpertz.
Wichtig für die Aufarbeitung und den Umgang mit den psychischen Folgen der Pandemie sei momentan vor allem zu eruieren, welche psychischen Belastungen oder Erkrankungen sich unter welchen Umständen verstetigen, wie man dies verhindern und wie man den Betroffenen am besten helfen könne, erklärten die Experten.
G.-M. Ostendorf, Wiesbaden