Erkrankungen der Makula, dem Ort des schärfsten Sehens in der Netzhaut, gehören in Deutschland zu den häufigsten Auslösern für eine Erblindung. Zu den Ursachen gehören die altersabhängige Makuladegeneration, eine Thrombose in den Augenvenen oder ein über Jahre zu hoher Blutzucker infolge eines Diabetes mellitus. Die Sehschäden werden durch eine Neubildung von Blutgefäßen hervorgerufen. Zur Therapie stehen seit zwei Jahrzehnten effektive Medikamente bereit.
Es handelt sich um sogenannte anti-vaskuläre endotheliale Wachstumsfaktoren („Anti-VEGF“). Die Mittel blockieren die Neubildung von Blutgefäßen. Damit sie in der Makula wirken können, müssen sie jedoch direkt in den Glaskörper injiziert werden. Die Aussicht auf einen Stich ins Auge löst, auch wenn er mit einer sehr feinen Nadel erfolgt und weitgehend schmerzlos ist, bei vielen Menschen Ängste aus. Einige reagieren darauf mit einem Anstieg des Blutdrucks.
Ein Team um Professor Dr. Dr. med. Martin Zinkernagel an der Universitätsklinik für Augenheilkunde, Inselspital Bern, hat die Reaktion in der FEAR-Studie („Following Excitement and Anxiety Response Under Intravitreal Injection“) näher untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass bei einigen Patienten der obere systolische Blutdruck auf über 180 mm Hg ansteigt. Solche Werte sind den Autoren zufolge zwar nicht akut lebensbedrohlich, aber bedenklich für die Gesundheit. Mediziner sprechen von einer „urgency“, was so viel wie Dringlichkeit bedeutet.
Anlass zur Besorgnis besteht, wenn die Spitzen regelmäßig auftreten. Die Schweizer Augenärzte haben deshalb den Blutdruck von 39 Patienten, bei denen es bei der ersten Behandlung zu einer solchen „urgency“ gekommen war, bei Folgebehandlungen genauer untersucht. Da die Wirkung von „Anti-VEGF“ mit der Zeit nachlässt, müssen die Injektionen bei vielen Patienten einmal pro Monat wiederholt werden.
Die jetzt vorgestellten Ergebnisse zeigen, dass die Blutdruckspitzen bei vielen Patienten erneut auftraten. „Bei 23 Teilnehmern, also 59 Prozent, konnten wir einen Gesamtanstieg des systolischen Blutdrucks von größer oder gleich 20 mmHg während der Injektion messen“, erklären die Mediziner. „Solche Schwankungen stellen einen zusätzlichen Risikofaktor für Organfunktionsstörungen dar“, führen die Experten aus und verweisen auf Richtwerte der European Society of Hypertension (ESH) und der European Society of Cardiology (ESC). Im Durchschnitt stieg der systolische Blutdruck von 157 mm Hg bei Ankunft in der Klinik auf 175 mm Hg zum Zeitpunkt der Injektion an. Bei einem Patienten wurde ein Blutdruck von 221 mm Hg gemessen.
Das Autorenteam merkt an, dass im Rahmen der Studie keine Langzeitblutdruckmessung über 24 Stunden erfolgte und die Patientenzahl mit 39 Teilnehmern sehr klein war. Weitere Untersuchungen sind daher sicher notwendig. Die vorliegenden Daten geben jedoch wichtige Hinweise darauf, dass die Injektionen in den zu einem wiederholten Blutdruckanstieg bei den Patienten führen können und damit gesundheitliche Risiken für die Betroffenen bergen.
Solche Blutdruckwerte können, wenn sie regelmäßig auftreten, Blutgefäße in Nieren, Gehirn und auch in den Augen schädigen, berichten die Berner Augenärzte. Das Risiko der Patienten auf eine Herz-Kreislauf-Erkrankung wie Herzinfarkt oder Schlaganfall könnte steigen. Das ist insbesondere für Patienten von Bedeutung, die bereits ein erhöhtes Risiko haben. Dazu gehören beispielsweise Menschen mit Diabetes oder ältere Patienten. „Eine gute Blutdruckeinstellung der Patienten – gerade bei einer bestehenden Hyperthonie – sowie eine ruhige und professionelle Vorbereitung der Betroffenen auf die Behandlung sind daher unerlässlich“, erklären die Autoren.
I. Wyssmüller et al.:
Recurrent Blood Pressure Rise after Treatment with Anti-vascular Endothelial Growth Factor Agents (Wiederholter Blutdruckanstieg nach Injektionen mit Anti-vascular endothelial Growth Factor).
Klinische Monatsblätter für Augenheilkunde 2020; online erschienen am 24.2.2020
Pressemitteilung Thieme online