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Zum Beitrag von Przygodda/Schröter/Thomann „Osteoporose – gutachtliche Beurteilung in ­verschiedenen Rechtsgebieten“ in MedSach Ausgabe 4/2022 S. 177ff.

Die Autoren stellen ein schwieriges gutachtliches Thema dar und wollen damit an den 5. Todestag unseres hochgeschätzten Kollegen Frank Schröter erinnern, der – als Mitautor aufgeführt – bereits 2015 (nicht 2016) einen Beitrag für Band IV der Osteologie verfasst hatte, in dem es um die Osteoporose der Wirbelsäule ging. Fast wörtlich ist der Beitrag übernommen, ergänzt durch 2 Abschnitte und die Tabelle 4 sowie das Thema der gesetzlichen Rentenversicherung. Wenn man nun bereits in den Vorspann schreibt, dass Fehler und unterbliebene Aktualisierungen zu Lasten des Erst- und Letztautors gehen, dann wird der Schriftsatz einem Memorandum nicht gerecht.

Korrekt wird z.B. eine Arbeit von Gehlen (Gehlen, Pfeifer, Lazarescu, Hanneforth, et al., 2019) zitiert, dass es bei dem Rechtsbegriff der Erwerbsminderung nach SGB VI neben dem allgemeinen Arbeitsmarkt auf das Berufsbild der letzten Tätigkeit für mindestens 6 Monate ankomme. Es hätte aber den Autoren auffallen müssen, dass hier Definitionen aus der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung und dem Schwerbehindertenrecht mit denen der gesetzlichen Rentenversicherung vermischt werden. Bei der gesetzlichen Rentenversicherung geht es ausschließlich um den allgemeinen Arbeitsmarkt. Dies steht in direktem Widerspruch zum Resümee am Ende des Artikels, welches auf eine „gehörige“ Erfahrung des Sachverständigen verweist.

Den Abschnitt der Schwerbehinderung handelt man sehr schnell ab und zitiert eine Tabelle von Kleinschmidt (Kleinschmidt & Kleinschmidt, 2002), die keinen Eingang fand in die VersMedV, ergänzt dann aber dankenswerter Weise die Ausführungen von Schröter unter Verweis auf die differenzierteren Ausführungen von Gehlen (Gehlen, Pfeifer, Lazarescu, Scholl, et al., 2019), der versuchte, den abstrakten Angaben der VersMedV konkrete Kriterien für die Funktionsbeurteilung zuzuordnen.

Die vorgeschlagene Kausalitätsprüfung für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung (GUV) steht in völligem Widerspruch zur ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung. Die Aufgabe des medizinischen Sachverständigen besteht darin, medizinisch-naturwissenschaftliche Tatsachen zu benennen und zu bewerten, die Aussagen müssen dem Beweis zugänglich sein. Wenn von „lebensalltäglichen Belastungen“ die Rede ist, darf sich jeder darunter etwas anderes vorstellen, der Begriff ist weder medizinisch-naturwissenschaftlich noch juristisch definiert, er kann damit in der Beweisführung nicht verwendet werden. Ob ein Wirbelbruch etwa im gleichen Zeitraum auch ohne das Ereignis eingetreten wäre, bedarf einer prophetischen Gabe, die ein medizinischer Sachverständiger nicht besitzt. Eine derartig wertende Interpretation ist allenfalls dem Juristen erlaubt, wenn er alle naturwissenschaftlichen Tatsachen kennt (s. beispielhaft die Urteile des BSG zur sogenannten Gelegenheitsursache; 2 U 35/87 vom 27.10.1987 und 2 RU 14/91 vom 14.12.1991).

Die Aufgabe des medizinischen Sachverständigen besteht darin zu prüfen, ob ein äußeres Ereignis nach allgemein anerkanntem Erfahrungssatz die naturwissenschaftliche Bedingung für einen Wirbelbruch war, d.h. ob das Ereignis generell geeignet war, einen Bruch zu verursachen. Bei Vorliegen einer Osteoporose hat eine naturwissenschaftliche Abwägung zu erfolgen, welche Teilursache mit welchem Anteil den Wirbelbruch verursacht hat (z.B. überwiegend, in etwa gleichartig, zu vernachlässigen, etc.). Die Bewertung, ob das versicherte Ereignis „rechtlich wesentlich“ war, ist dem Juristen vorbehalten. Auf der sogenannten 2. Prüfstufe ist der medizinische Sachverständige nicht mehr gefragt. (BSG 2 U 9/11R vom 24.07.2012).

Im Abschnitt zur privaten Unfallversicherung wurde alles wörtlich von Frank Schröter übernommen inklusive des falsch gesetzten mathematischen Operanden in Tabelle 3 (wenn ein Wert im Minusbereich kleiner werden soll, kommt dieses Zeichen „<“ zum Einsatz).

Auf die Nichtanwendbarkeit der prozentualen Bezifferung einer Mitwirkung der Osteoporose am Eintritt des Wirbelkörperbruchs wurde bereits 2017 (Klemm et al., 2018) hingewiesen. Die unterstellten Krafteinleitungen pathologischer Dimension auf Wirbelkörper werden in leicht-, mittel- und schwergradig eingeteilt, ohne dass man für die Definition der „Schwere“ der Krafteinleitung irgendwelche Hinweise erhält. Wann sieht der Mediziner, wann der Jurist und wann der um Verständnis der Versicherungsbedingungen bemühte Versicherte einen Sturz als leichtgradig oder mittelschwer an? Wieviel Kilopond sind „schwer“? Allenfalls könnte man einer Unterscheidung zustimmen zwischen Bagatelleinwirkung, die schlechterdings nicht zu einem WK-Bruch führen kann und einem Hochrasanztrauma. Der ärztliche Sachverständige ist weder gefragt noch kompetent für die Definition der „Schwere“ einer Einwirkung auf den Wirbelkörper.

Auch ist die Abstellung auf den Z-Score abzulehnen. Nach Minne (Minne & Pollähne, 1999 und persönliche Mitteilungen) ist der Wert auch im internationalen Schrifttum verlassen, da nur durchschnittliche Messwerte von Personen der gleichen Altersgruppe verglichen werden. Der Wert liefert z.B. auch keine Differenzierungsmöglichkeit, wenn in der Vergleichsgruppe viele asymptomatische Osteoporosen inkludiert sind. Die Osteoporose ist nach WHO definiert, wenn der Knochenmineralgehalt in der DXA um mehr als 2,5 Standardabweichungen vom Mittelwert einer 20- bis 29-jährigen Frau vermindert ist. Dies mag ebenso keine optimale Definition darstellen, bis zur Neuformulierung hat sich der ärztliche Sachverständige aber an diese Definition zu halten. Gleichzeitig muss man sich verinnerlichen, dass bei der Abwägung der unfallfremden Mitwirkung auch berücksichtigt werden muss, dass in einem bestimmten Alter die Osteoporose in bestimmten Grenzen altersimmanent ist und man in diesen Fällen einen relevanten Mitwirkungsanteil nicht wird beziffern können.

Es geht also immer um die biologische Adäquanz der Osteoporose gegenüber der Krafteinleitung. Der Gutachter muss abwägen, ob das Ergebnis der Krafteinleitung in einem adäquaten Verhältnis zum Ergebnis steht.

Mit Tabelle 3 wird (insbesondere dem Juristen und dem unerfahrenen Gutachter) eine punktgenaue Bezifferbarkeit der Mitwirkung der Osteoporose vorgegaukelt, die aber nicht existiert. Nach Berücksichtigung aller Puzzlesteine kann der ärztliche Sachverständige nur abwägen, dass ein bemessbarer Mitwirkungsanteil nicht zu belegen ist, bei Gleichwertigkeit der Ursachenanteile um 50% liegt oder aber weit überwiegend (z.B. 75%) ist oder gar nur den letzten Tropfen darstellt, der bildlich gesprochen „das Fass zum Überlaufen“ brachte.

DXA Dual X-ray Absorptiometry“

VersMedV Versicherungsmedizin-­Verordnung

WK Wirbelkörper

Literatur

1 Gehlen, M., Pfeifer, M., Lazarescu, M., Hanneforth, M., Hinz, C., & Schwanrz-Eywill, M. (2019). Begutachtung von Patienten mit Osteoporose im Schwerbehindertenrecht. Osteologie, 28, 202-209. https://doi.org/10.1055/a-0871-9132

2 Gehlen, M., Pfeifer, M., Lazarescu, M., Scholl, S., Hinz, C., Maier, A., & Schwanrz-Eywill, M. (2019). Sozialmedizinische Leistungsbeurteilung von Patienten mit Osteoporose. Osteologie, 28, 210-217. https://doi.org/10.1055/a-0871-9199

3 Kleinschmidt, J., & Kleinschmidt, J. (2002). Die Begutachtung der Osteopenie/Osteoporose im Schwerbehindertenrecht. MedSach, 98(1), 19-21.

4 Klemm, H. T., Albers, W., Krumbiegel, A., & Willauschus, W. (2018). [Osteoporosis in private accident insurance]. Unfallchirurg, 121(1), 83-88. https://doi.org/10.1007/s00113-017-0448-5 (Osteoporose in der privaten Unfallversicherung.)

5 Minne, H., & Pollähne, M. (1999). Messwertinterpretation in der Osteodensitometrie: T-Wert entscheidend. Dtsch Arztebl, 96(15), A1000.

Korrespondenzadresse:

Dr. H.-T. Klemm

Fachgesellschaft Interdisziplinäre ­Medizinische Begutachtung und
Freies Institut für medizinische ­Begutachtungen Bayreuth / Erlangen

Ludwigstraße 25

95444 Bayreuth

Antwort der Verfasser:

Der Autor des Leserbriefs unterstellt, die Unterzeichner hätten den Beitrag von Frank Schröter „Osteoporose der Wirbelsäule – gutachterliche Bewertung in verschiedenen Rechtsbereichen“ plagiiert. Frank Schröter hätte diesen für „für den Band IV der Osteologie“ verfasst: Dieser Vorwurf wiegt schwer, ein Plagiat diskreditiert – mit Recht – den Plagiator, der sich mit unberechtigt mit „den Federn anderer schmückt“.

Wegen der Bedeutung des Plagiat-Vorwurfs sei der Ursprung des Artikels detailliert dokumentiert: Der Original-Artikel wurde von Frank Schröter für eine Buch-Publikation im Referenz-Verlag auf Anregung des erstbenannten Autors verfasst. Die geplante Veröffentlichung sollte unter dem Titel „Die Wirbelsäule – Grundlagen, Diagnostik, Therapie und Begutachtung ausgewählter Verletzungen und Erkrankungen der Wirbelsäule“ im Referenz-Verlag erscheinen. Ursprünglich war die Publikation bereits für das Jahr 2012 geplant. Frank Schröter hatte zugesagt, den Aufsatz zur Begutachtung der Osteoporose der Wirbelsäule zu übernehmen. Die Fertigstellung des Artikels verzögerte sich. Das Manuskript, das der Veröffentlichung im MedSach zugrunde lag, wurde von Frank Schröter am 1.2.2013 übersandt. Der Text wurde von Prof. A. Taeger lektoriert und lag am 1.10.2013 satzfertig vor. Der Verlag und die Herausgeber des Buches entschieden sich allerdings wegen der unterschiedlichen Zielgruppen (konservativ und operativ tätige Wirbelsäulenspezialisten auf der einen - Gutachter auf der anderen Seite), auf den geplanten Teil „Begutachtung von Wirbelsäulenverletzungen und Erkrankungen“ zu verzichten. Das Buch erschien 2015 unter der Herausgeberschaft von M. Rauschmann und K. Kafchitsas unter dem Titel: „Erkrankungen und Verletzungen der Wirbelsäule. Einführung in die Diagnostik und Therapie von Erkrankungen der Wirbelsäule“ (ISBN: 978-3-943441-20-8). Die Rechte für den Aufsatz von Schröter liegen bei dem Referenz-Verlag. Somit liegt weder eine Urheberrechtsverletzung noch ein Plagiat vor.

In der Fußnote des Artikels hatten U. Przygodda und K.-D. Thomann darauf hingewiesen, dass die ursprüngliche Fassung von Frank Schröter verfasst wurde, weiterhin hieß es: “Der Text wurde behutsam überarbeitet. Evtl. Fehler und unterbliebene Aktualisierungen gehen zu Lasten der Koautoren.“ Frank Schröter hatte den Abschnitt zur „Durchführung der Kausalitätsprüfung im Bereich der Gesetzlichen Unfallversicherung“ sorgfältig und überlegt formuliert. Seine Argumentation ist fundiert. Die von Klemm zitierten Gerichtsurteile zur „Gelegenheitsursache“ haben keinen Bezug zum Zusammenhang zwischen Unfall und Osteoporose. Sie beziehen sich auf den Zusammenhang zwischen einem Arbeitsunfall, dem Tod des Versicherten und der Lebenszeitverkürzung um ein Jahr (2 U 35/87) bzw. auf den plötzlichen Herztod als Folge einer durch einen Verkehrsunfall ausgelösten psychischen Belastung (2 RU 14/91). Ob das zweite Urteil heute noch vor dem Bundessozialgericht Bestand hätte, kann mit Recht bezweifelt werden.

Es ist das Verdienst F. Schröters, Vorschläge für die unfallfremde Mitwirkung „von Krankheiten oder Gebrechen an der Gesundheitsschädigung“ in der privaten Unfallversicherung (GDV: Allgemeine Unfallversicherungsbedingungen) im Hinblick auf die Osteoporose formuliert zu haben. Nach Schröter ist die Einbeziehung der Messwerte der Osteodensitometrie (Dual-Energy X-Ray-Absorptiometrie, DXA) dabei nur ein Baustein der kausalen Bewertung. In der ersten Auflage des von dem Erstautors, V. Grosser und F. Schröter herausgegebenen Handbuchs der orthopädisch-unfallchirurgischen Begutachtung (Elsevier, 2008), verwendete Schröter zur Beurteilung des Einflusses der Osteoporose unter Anlehnung an Scheibe und Minne den Vergleich mit Knochengesunden 20-30jährigen Untersuchten (T-Score):

„Im Bereich der privaten Unfallversicherung (PUV) bedarf es bei einer vorbestehenden Osteoporose mit Eintritt einer Wirbelkörperverformung durch eine Unfalleinwirkung der Bezifferung der unfallfremden Mitwirkung. Bei dieser Überprüfung gilt der Grundsatz, dass eine erhebliche Unfalleinwirkung, die nach gesicherten ärztlichen Erfahrungen auch einen gesunden Wirbelkörper in ähnlicher Weise und in gleicher Lokalisation zwingend geschädigt hätte, nur eine relativ geringe Bezifferung einer unfallfremden Mitwirkung erlaubt, die nicht auf den Fraktureintritt, sondern nur auf das Ausmaß der Verformung abzustellen ist, auch dann, wenn es sich um eine ausgeprägte vorbestehende Osteoporose gehandelt hat. Ansonsten gilt es abzuwägen zwischen der Schwere der Unfalleinwirkung und der Schwere der Osteoporose. Ein Anhaltspunkt für die Größenordnung der unfallfremden Mitwirkung ergibt sich aus dem Ergebnis der Knochendichtebestimmung nach dem SD/T-Score.“

Nach einer intensiven Beschäftigung mit der Materie entwickelte Schröter sein Konzept der Mitwirkung bei Osteoporose weiter. In der privaten Unfallversicherung ist eine Mitwirkung an den Unfallfolgen durch physiologische Alterungsprozesse ausgeschlossen. Da der T-Score – wie bereits erwähnt - die durchschnittliche Knochendichte junger Erwachsener repräsentiert - kann dieser für eine Beurteilung der Mitwirkung bei älteren oder gar hochbetagten Personen kaum als Vergleichsmaßstab dienen. Ein Vergleich vermag diese Argumentation zu verdeutlichen: Man denke sich einen T-Score (20-30jährige!) für Muskelmasse, Hautdichte, Haarfarbe, Schönheit, Libido und Potenz – und lege diesen als Vergleichsmaßstab der Norm für 80jährige Männer oder Frauen zugrunde.

Somit ist es wesentlich plausibler, die alterskorrelierte Knochendichte, den Z-Score, bei der Mitwirkung zu berücksichtigen. In der 2. Auflage des Handbuchs (2013) verlässt Schröter deshalb mit Recht den T-Score als Vergleichsmaßstab und zieht als einen Faktor für die Beurteilung der Mitwirkung durch Osteoporose den Z-Score heran: „Es gilt abzuwägen zwischen der Schwere der Unfalleinwirkung und der Schwere der Osteoporose. Ein Anhaltspunkt für die Größenordnung der unfallfremden Mitwirkung ergibt sich aus dem Ergebnis der Knochendichtebestimmung nach dem SD/Z-Score, so dass die lebensaltersbedingte Kalksalzminderung in jedem Fall als „normal“ - ohne Berechtigung zur Feststellung einer unfallfremden Mitwirkung - eingeordnet wird“ (S. 93-94). Die Tabelle, die auf S. 93 – ohne Druckfehler – publiziert wurde, entspricht derjenigen, die in dem Artikel des MedSach erschienen ist.

Prof.Dr. Klaus- Dieter Thomann, Dr.med. Uta Przygodda

Institut für Versicherungsmedizin, Zweigstelle Berlin
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