Eine Zusammenstellung aktueller Informationen für Gutachter, Teil 2
Für medizinische Sachverständige, die (angeblich) naturheilkundliche bzw. alternativmedizinische Behandlungen begutachten sollen (etwa für die private Krankenversicherung – PKV), habe ich im vorherigen Heft (MedSach 117 5/2021:215-216) mit einer Zusammenstellung von Berichten über – kritische – Publikationen und Vorträge auf medizinischen Tagungen und Kongressen (online) aus den letzten Monaten über einschlägige Themen begonnen, die hier fortgesetzt wird.
Vorsicht vor Mangelernährung
Vor dem Hintergrund der aktuell weit verbreiteten und vielfältigen „Ernährungshypes“ sollte die Problematik einer unausgewogenen Ernährung unbedingt im Blick behalten werden, betonte Viola Andresen, Leiterin des Ernährungsteams der Medizinischen Klinik am Israelitischen Krankenhaus in Hamburg, auf dem 29. Gastroenterologie-Update-Seminar am 19. und 20. März 2021 (Livestream-Veranstaltung).
Gerade für Gastroenterologen ist das Thema „Mangelernährung“ zudem von besonderer Wichtigkeit, denn viele auch nicht-tumoröse gastrointestinale Erkrankungen bergen das Risiko für eine Mangelernährung.
Bei einer qualitativen Mangelernährung besteht eine Unterversorgung von Vitaminen und Mineralstoffen. Hierzu zählen z. B. Eisenmangel oder Vitamin-B12-Mangel. Ursachen für Mangelzustände sind dabei u. a. eine unausgewogene Ernährung, z. B. infolge bestimmter Ernährungsformen wie Veganismus, Malabsorptions-Störungen wie z. B. die Zöliakie (u. a. Eisen), eine Resektion des terminalen Ileums (Vitamin B12) oder eine Pankreas-Insuffizienz (unzureichende Aufnahme fettlöslicher Vitamine), um nur einige Beispiele zu nennen.
Bei einer ausgewogenen Ernährung und gesunden Verdauungsfunktionen ist in der Regel in unseren Breiten jedoch keine qualitative Mangelernährung zu befürchten, so dass eine Substitution mit Vitamin-Präparaten keine Vorteile bringt. Ausnahmen bilden hier der Jodmangel in Gegenden mit sehr niedrigem Jodgehalt im Trinkwasser und der Vitamin-D-Mangel bei unzureichender UV-Licht-Exposition, also typischerweise in den Wintermonaten, wo eine Vitamin-D-Substitution durchaus sinnvoll erscheint.
Viele Menschen nehmen jedoch eigenhändig Eliminationsdiäten vor und übersehen aus Unkenntnis dabei die verminderte Versorgung mit wichtigen Vitaminen und Mineralstoffen, warnte Andresen.
Anmerkung aus gutachtlicher Sicht
Diese Ausführungen sind gerade auch für den Gutachter von Bedeutung, der etwa zu Behandlungen nach dem (ausgesprochen fragwürdigen) Konzept der sogenannten orthomolekulare Medizin Stellung nehmen soll, wonach chronische Krankheiten auf eine angebliche Unterversorgung mit sogenannten Mikronährstoffen zurückzuführen und durch die Gabe hoher Vitamindosen, kombiniert mit Mineralstoffen und Spurenelementen, zu behandeln seien.
Dagegen ist bei echter Mangelernährung, meist infolge gastroenterologischer Erkrankungen, und dadurch bedingter Unterversorgung von Vitaminen und Mineralstoffen eine entsprechende gezielte Substitution als medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen Krankheit anzuerkennen; hierbei handelt es sich nicht um unspezifische „Stärkungsmittel“.
Gezielte Therapie mitochondrialer Störungen nicht möglich
Mitochondrien sind für zahlreiche essenzielle zelluläre Funktionen wie den Stoffwechsel verantwortlich; Gesundheitsstörungen und Alterungsprozesse sind direkt abhängig von deren Funktion. Gezielte Therapien mitochondrialer Störungen sind jedoch wegen der komplexen intrazellulären Wechselwirkungen in absehbarer Zeit nicht zu erwarten, erklärt Helmut Jäger aus Rotenburg in der Zeitschrift für Allgemeinmedizin „tägliche praxis“ (4).
Als hochwirksam habe sich aber die Prävention durch Verhalten erwiesen wie Stressreduktion, ausgeglichener/ruhiger Lebensstil, gesunde Ernährung, Achtsamkeit und entspannte Bewegung.
Darüber, dass der Begriff „Mitochondriopathie“ häufig (unzulässigerweise) im Bereich der Alternativ- bzw. Komplementärmedizin verwendet wird, um damit umfangreiche Labordiagnostik und fragwürdige Therapiekonzepte zu begründen, hat der Autor erst kürzlich in dieser Zeitschrift berichtet (Heft 2/2021, S. 73).
Warnung vor hochdosierten Vitaminen und Spurenelementen während der Chemotherapie ...
Krebspatienten sollte von der Einnahme hochdosierter Vitamine und Spurenelemente während einer Chemotherapie ausdrücklich abgeraten werden, erklärte Martin Trepel, Direktor der II. Medizinischen Klinik sowie Direktor des Interdisziplinären Cancer Centers am Universitätsklinikum Augsburg, auf dem 15. Allgemeinmedizin-Update-Seminar am 18. und 19. Juni 2021 (Livestream-Veranstaltung).
Viele krebskranke Patienten versuchen, durch Nahrungsergänzungsmittel, insbesondere Vitamine und Spurenelemente, dem Problem einer Mangelernährung durch die Tumorerkrankung und/oder ihrer Therapie zu begegnen. Über die Wirksamkeit und Sicherheit dieses Vorgehens gibt es jedoch kaum gesicherte Erkenntnisse.
Gerade das vermeintliche „Es-kann-ja-nicht-schaden-Prinzip“ hat allerdings seine Grenzen, warnte Trepel. Manche Vitamine, wie etwa das antioxidative Vitamin C, können die Zytotoxizität verschiedener Tumortherapien vermindern, was theoretisch zwar die Verträglichkeit verbessern, aber auch die Wirksamkeit schmälern könne.
Eine aktuelle prospektive Studie von Ambrosone u. a. zu diesem Thema bei 1.134 Brustkrebspatientinnen unter Chemotherapie (5) zeigt nun, dass die Verwendung antioxidativer Nahrungsergänzungsmittel (Vitamine A, C und E sowie Carotinoide und Coenzym Q10) sowohl vor als auch während der Behandlung mit einem um 41 % erhöhten Risiko für ein Rezidiv der Erkrankung und einem 40 % erhöhten Risiko für Tod assoziiert war!
Für nicht-oxidative Agenzien wie Vitamin B12 ergab sich ebenfalls eine Assoziation mit einem schlechteren krankheitsfreien und Gesamt-Überleben. Auch die Einnahme von Eisen während der Chemotherapie war signifikant mit einem Rezidiv assoziiert. Eine Korrelation des Überlebens und der Einnahme von Multivitaminpräparaten konnte dagegen nicht nachgewiesen werden.
Auch wenn diese Studie nicht prospektiv randomisiert war und nur Brustkrebspatientinnen unter einer bestimmten Chemotherapie mit drei verschiedenen, allerdings häufig auch bei anderen Tumoren eingesetzten, Zytostatika untersuchte, bestätigt sie doch, dass Patienten die Einnahme hochdosierter Vitamine und Spurenelemente während einer Chemotherapie nicht empfohlen werden sollte, kommentierte Trepel diese Ergebnisse. Gegen die nicht hochdosierte Einnahme eines regulären Multivitaminpräparates oder Multivitaminsafts hingegen sei wahrscheinlich nichts einzuwenden.
Weiter verwies Trepel auf Ausnahmen, wo Onkologen gezielt bestimmte Vitamine, wie Folsäure oder Vitamin B12, in Kombination mit definierten Zytostatika einsetzen, um aufgrund des jeweiligen Wirkmechanismus die Wirkung zu erhöhen oder Nebenwirkungen zu verhindern.
Anmerkung aus gutachtlicher Sicht
Aus gutachtlicher Sicht ist anzumerken, dass eine Behandlung von Krebspatienten unter Chemotherapie mit hochdosierten, v. a. antioxidativen Vitaminen und Spurenelementen immer wieder von naturheilkundlich bzw. alternativmedizinisch orientierten Ärzten (und auch von Heilpraktikern) durchgeführt wird – oft ohne Wissen der behandelnden Onkologen!
Dass eine solche Therapie mit hochdosierten Vitaminen, insbesondere Antioxidantien, wie sie seit vielen Jahren in der Alternativmedizin eingesetzt wird, aus onkologischer Sicht durchaus kritisch zu sehen ist, hat kürzlich auch Jutta Hübner in dieser Zeitschrift dargelegt (Heft 1/2020, S. 31-34).
Angesichts des negativen Nutzen-Risiko-Verhältnisses einer solchen Antioxidantien-Behandlung während einer Chemotherapie fällt diese somit nicht unter die Kostenerstattungspflicht der privaten Krankenversicherung für medizinisch notwendige Heilbehandlung.
Das gilt (angesichts des geschilderten aktuellen medizinischen Kenntnisstands) offenbar auch unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH), wonach bei lebensbedrohenden oder gar lebenszerstörenden, unheilbaren Erkrankungen die Vertretbarkeit der Behandlung (im Sinne von medizinisch notwendig) bereits dann zu bejahen sei, wenn sie als wahrscheinlich geeignet angesehen werden könne, zumindest auf eine Verlangsamung der Erkrankung hinzuwirken (vgl. Beschluss des BGH vom 30.10.2016; AZ: IV ZR 307/12, Bremen).
... auch vor hochdosiertem Vitamin C
Trotz dieser Erkenntnisse wird etwa hochdosiertes Vitamin C (Ascorbinsäure) immer wieder zur Behandlung von Krebspatienten eingesetzt. Angeblich führt hochdosiertes Vitamin C zu einer Besserung der Lebensqualität bei (Krebs-)Fatigue und hat zudem „chemotherapeutisches Potential“, so ein Beitrag im angesehenen Deutschen Ärzteblatt vom 18. Juni 2021. Dass es sich dabei allerdings nicht um eine wissenschaftliche Publikation handelt, sondern um eine Anzeige des Herstellers des einschlägigen Injektions- bzw. Infusionspräparats, ist erst auf den zweiten Blick zu erkennen.
Verblüffend ist dann die – in besonders kleiner Schrift abgedruckte – Angabe zur Indikation des Präparats: „Zur Therapie von klinischen Vitamin C-Mangelzuständen, die ernährungsmäßig nicht behoben oder oral substituiert werden können“ sowie „Methämoglobinämie im Kindesalter“. Bei der hier beworbenen Indikation in der Onkologie handelt es sich somit um einen Off-Label-Use, der aber vermutlich sehr viel einträglicher sein dürfte als der Einsatz nur bei den zugelassenen Indikationen. Welcher Arzt kennt denn aus eigener Erfahrung Fälle „von klinischen [!] Vitamin C-Mangelzuständen, die ernährungsmäßig nicht behoben oder oral substituiert werden können“?
Ein Gutachter, der mit der Frage konfrontiert wird, ob eine Injektions- bzw. Infusionstherapie mit Vitamin C bei Krebspatienten als medizinisch notwendig anzusehen ist, kann sich an den Faktenblättern „Naturheilkunde bei Krebs“ orientieren, welche von Experten der Arbeitsgemeinschaft Prävention und Integrative Onkologie der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) erarbeitet und jährlich aktualisiert werden. In der 10 Seiten umfassenden Ausarbeitung zu Vitamin C (6) heißt es zusammenfassend:
„Vitamin C ist ein Antioxidans und könnte die Wirkung von Chemo- oder Strahlentherapie vermindern. Die in-vitro- und in-vivo-Daten sind widersprüchlich. Möglicherweise liegt ein dosisabhängiger Effekt vor. Abschwächungen der Wirkung von verschiedenen Zytostatika wurden unter anderem in vitro gezeigt ... Da Interaktionen auftreten können, ist die hochdosierte Vitamin C Supplementation während einer antitumorösen Therapie nicht zu empfehlen.“
Hinzuweisen ist hier zudem auf die ausführliche S3-Leitlinie „Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen PatientInnen“ (AWMF-Registriernummer: 032/055OL), welche im Juli 2021 veröffentlicht wurde. Dazu folgt ein gesonderter ausführliche Beitrag in dieser Zeitschrift.
Wie wirksam sind Behandlungen nach dem Konzept der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM)?
Behandlungen nach dem Konzept der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) erfreuen sich seit Jahren großer Beliebtheit, obwohl deren Grundlagen sich als ausgesprochen philosophisch-spekulativ erweisen und Wirksamkeitsnachweise rar sind.
Zwar hat sich in der Schmerztherapie bereits seit längerer Zeit die Akupunktur etabliert – allerdings unter den diagnostischen und behandlungsbezogenen Rahmenbedingungen der konventionellen westlichen Medizin und auf der Grundlage eines konventionellen Verständnisses der Neurophysiologie des Schmerzes.
Gerade auch aus gutachtlicher Sicht interessant ist daher, was sich hierzu aus aktuellen Studien ergibt, wie sie etwa auf dem 15. Allgemeinmedizin-Update-Seminar am 18. und 19. Juni 2021 (Livestream-Veranstaltung) vorgestellt wurden.
Tai-Chi, Yoga und Akupunktur zur Therapie von Rückenschmerzen
So berichtete Christian Maihöfner, Chefarzt der Neurologischen Klinik am Klinikum Fürth über eine systematische Übersichtsarbeit, in welcher die Datenlage zu nicht-pharmakologischen Therapien (nicht nur der TCM) von Rückenschmerzen neu zusammengetragen wurden (7).
Dabei zeigte sich eine relativ neue Evidenz dafür, dass Tai-Chi, aber auch eine achtsamkeitsbasierte Stressreduktion, effektiv für die Behandlung von Rückenschmerzen sind. Ebenso bestätigen sich die Befunde für die Effektivität von Yoga.
Weitere positive Effekte fanden sich für Akupunktur sowie für muskuläre Übungen, psychologische Therapien, multidisziplinäre Rehabilitation, spinale Manipulationen und Massage. Eine begrenzte Evidenz besteht für die Effektivität von Akupunktur insbesondere bei akuten Rückenschmerzen. Generell war die Größe der Schmerzreduktion allerdings in allen Studien eher gering, und die Effekte auf alltagsrelevante Funktionen waren geringer als die Effekte auf die Schmerzintensität, so Maihöfner.
Behandlung des Reizmagens mit Akupunktur
Die Frage, ob die in einer chinesischen Population beobachteten positiven Effekte sich auch auf unsere Verhältnisse extrapolieren lassen, stellte Andreas Stallmach, Direktor der Universitätsklinik für Innere Medizin IV in Jena. Das gelte etwa für die Ergebnisse einer chinesischen Studie zur Therapie des Reizmagens mit Akupunktur (8):
In dieser (angeblich randomisierten kontrollierten) Studie wurde nach vier Wochen eine Erfolgsrate von 83 % für Akupunktur, aber nur von 52 % in der Sham-Akupunktur-Gruppe berichtet (p < 0,001). Die Überlegenheit von Akupunktur persistierte über den Studienzeitraum sowie über weitere 12 Wochen Follow-Up nach Beendigung der Studie. Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet.
Angesichts der spärlichen therapeutischen Alternativen begründen diese Daten aber eine entsprechend konzipierte Studie auch bei westlichen Patienten, folgerte Stallmach.
Therapie der Ejaculatio präcox nach TCM-Konzept
Nicht selten sind Behandlungen sexueller Beschwerden bzw. von Fertilitätsstörungen nach TCM-Konzept. So fanden sich auf dem – ebenfalls rein online abgehaltenen – 52. TCM-Kongress Rothenburg 2021 vom 11. bis 15. Mai 2021 Vorträge zu folgenden Themen:
Ein weiteres Beschwerdebild aus diesem Bereich ist die Ejaculatio präcox. Da deren Ätiologie jedoch ziemlich unerforscht ist, gibt es auch in der Therapie keine hauptsächliche Stoßrichtung, erklärte Andreas Gross, Chefarzt der Urologie an der Asklepios Klinik Barmbek, auf dem bereits erwähnten 15. Allgemeinmedizin-Update-Seminar. Somit werden hier auch TCM-Medikamente eingesetzt.
Liu et al. haben sich, so Gross, nun der Mühe unterzogen, 180 Verschreibungen aus dem Bereich der TCM bei dieser Indikation zu analysieren (9). Die statistische Analyse ergab, dass die Medikamente entweder „warm“, „neutral“ oder „kalt“ (nach den Begrifflichkeiten der TCM) waren, süß oder scharf im Geschmack, und dass sie die Niere, die Leber oder die Milz als Bezugspunkt der „Meridiane“ hatten.
Dort haben sie (angeblich) folgende Wirkung:
Am häufigsten wurden folgende Substanzen verwendet:
Die am häufigsten verwendete Kombination war Os draconis (Drachenknochen) und Concha ostrae (Austernmuschelschalen).
Aus gutachtlicher Sicht ist hier anzumerken, dass diese Studie interessante Einblicke in das – von der wissenschaftlichen sog. „Schulmedizin“ völlig verschiedene – Konzept der TCM gibt und somit für Anhänger der Traditionellen Chinesischen Medizin durchaus interessant sein mag. Dass eine solche medikamentöse TCM-Behandlung (etwa mit „Drachenknochen“) medizinisch notwendig sei, kann aber sicherlich nicht gefolgert werden.
Vorsicht mit TCM-Präparaten in der Krebstherapie
Wichtig zur Beurteilung von TCM-Behandlungskonzepten sind auch aktuelle evidenzbasierte Informationen aus dem Internet. So geben Experten der Arbeitsgemeinschaft Prävention und Integrative Onkologie der Deutschen Krebsgesellschaft interessante und gut recherchierte Informationen zur Behandlung nach TCM-Konzept in der Onkologie im „Faktenblatt: Traditionelle Chinesische Medizin“ (10).
Dort heißt es zusammenfassend, dass aus der aktuellen Studienlage keine Empfehlungen zum Einsatz der Traditionellen Chinesischen Medizin bei Tumorpatienten gegeben werden können, zumal auch Interaktionen und unerwünschte Wirkungen bei den hier eigesetzten Heilpflanzen möglich sind. Allerdings können verschiedene Methoden der Mind-Body-Therapie supportiv hilfreich sein (was ja konsistent ist mit den erwähnten Erkenntnissen in der Behandlung von Rückenschmerzen).
Kritisch wird von den Autoren der Arbeitsgemeinschaft Prävention und Integrative Onkologie zudem angemerkt, es sei bekannt geworden, dass die aus China stammenden Studien nicht den Kriterien randomisierter Studien genügen, obwohl sie als solche publiziert worden seien.
Ozon-Eigenblut-Therapie durch Heilpraktiker gesetzeswidrig?
Ist die Durchführung einer Eigenblut-Therapie, etwa in der Variante einer Ozon- Eigenblut-Infusion, durch Heilpraktiker gesetzeswidrig? Das ergibt sich jedenfalls aus einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Münster vom 23.4.2021 in 3 Fällen (AZ: 9 A 4073/18, 9 A 4108/18 und 9 A 4109/18).
Geklagt hatten drei Homöopathen, die im Rahmen der – unter Heilpraktikern verbreiteten – Eigenbluttherapie den Patienten eine geringe Menge Blut entnahmen, es diesen, nach Zusatz eines Sauerstoff-Ozon-Gemisches oder nach einer Mischung mit homöopathischen Fertigarzneimitteln, zurückinjizierten bzw. -infundierten. Das war ihnen aber mit arzneimittelrechtlichen Ordnungsverfügungen der zuständigen Bezirksregierung untersagt worden. Die dagegen gerichteten Klagen hatte das Verwaltungsgericht abgewiesen; auch die Berufungen der Heilpraktiker vor dem Oberverwaltungsgericht hatten keinen Erfolg.
Die Entnahme einer Blutspende darf nach dem Transfusionsgesetz nämlich nur durch einen Arzt oder unter Verantwortung eines Arztes erfolgen, wobei der gesetzliche Begriff der Blutspende neben der Entnahme von Fremdblut auch die von Eigenblut erfasst. Der Sinn und Zweck des Gesetzes, für eine sichere Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen zu sorgen, greift auch bei Eigenblutspenden, und zwar unabhängig davon, ob nur eine geringe Menge entnommen wird, argumentierte das OVG.
Die Heilpraktiker konnten sich auch nicht auf die Ausnahmeregelung für homöopathische Eigenblutprodukte berufen, denn um solche ging es hier nicht. Homöopathisch ist nicht jedes Eigenblutprodukt, das durch einen Heilpraktiker hergestellt wird. Der Begriff ist unter Heranziehung des Arzneimittelgesetzes zu bestimmen und setzt deshalb voraus, dass das Eigenblutprodukt in einem homöopathischen Zubereitungsverfahren hergestellt wird, das im Europäischen Arzneibuch oder in einem der offiziell gebräuchlichen amtlichen Arzneibücher (Pharmakopöen) der Mitgliedstaaten der EU beschrieben ist, so die Münsteraner Richter.
Ein solches Verfahren wendeten die klagenden Heilpraktiker aber nicht an: Sie vermischten lediglich das Eigenblut mit einem homöopathischen Fertigarzneimittel bzw. mit einem Sauerstoff-Ozon-Gemisch und unterzogen dabei weder das Blut selbst noch das Eigenblutpräparat einer homöopathischen Technik.
Die Sicherheit und Wirksamkeit von Eigenbluttherapien war nicht Gegenstand des Verfahrens, erklärte das OVG in seiner Urteilsbegründung. Auch hat der Senat nicht entschieden, ob Heilpraktiker für solche Eigenblutprodukte eine Herstellungserlaubnis nach dem Arzneimittelgesetz benötigen und ob sie diese überhaupt erhalten können.
Kommentar
Bindend ist dieses Urteil zwar nur für die klagenden Heilpraktiker; die juristische Argumentation des Oberverwaltungsgerichts ist aber allgemein gültig. Somit stellt sich die Frage, ob eine (nicht rein homöopathische) Eigenblut-Therapie durch Heilpraktiker generell gesetzeswidrig ist und welche Konsequenzen sich ggf. daraus ergeben.
Im einschlägigen Gebührenverzeichnis für Heilpraktiker (GebüH) finden sich hierzu zwei Abrechnungspositionen:
Bei der Hämatogenen Oxidationstherapie (HOT) handelt es sich um eine Kombination von Eigenblut- und Sauerstofftherapie. Dem Patienten werden ca. 100 ml Blut abgenommen. Dieses wird mit Sauerstoff aufgeschäumt, mit Ultraviolett-Licht bestrahlt und anschließend re-infundiert.
Die häufig von Heilpraktikern durchgeführte (Sauerstoff-)Ozon-Eigenblut-Infusionsbehandlung, auch als „Große Eigenblutbehandlung“ oder „Blutwäsche“ bezeichnet, wird dagegen nicht als eigenes Verfahren im aus dem Jahre 1985 stammenden Gebührenverzeichnis für Heilpraktiker erwähnt. Die Abrechnung erfolgt meist analog der GebüH-Nr. 25.11.
Zu den medizinischen Aspekten ist auf die entsprechenden Ausführungen im Handbuch der Stiftung Warentest „Die Andere Medizin“ (11; S. 251-255) hinzuweisen. Darin werden die verschieden Varianten der Ozontherapie, auch die Ozon-Eigenblut-Infusionsbehandlung, nach ausführlicher kritischer Diskussion zusammenfassend folgendermaßen bewertet:
„Die Wirksamkeit der Ozontherapie ist weder zur begleitenden Krebsbehandlung noch zur Senkung von Bluthochdruck oder der Risikofaktoren der koronaren Herzkrankheit nachgewiesen. Ihre Risiken sind erheblich. Eine Nutzen-Risiko-Abwägung fällt daher negativ aus. Ozontherapie ist nicht geeignet zur Behandlung von Erkrankungen oder Beschwerden, gleich welcher Art.“
Diese Beurteilung trifft auch weiterhin zu.
G.-M. Ostendorf, Wiesbaden
Literatur
4 Jäger, H. (2021). Ökosystem Zelle: Die Bedeutung der Toleranz der Mitochondrien für Gesundheit und Lebenslänge. tägliche praxis 64/3, 397-404.
5 Ambrosone, C. B., Zirpoli, G. R., Hutson, A. D., Mc Cann, W. E., Mc Cann, S. E., Barlow, W. E. et al. (2020). Dietary supplement use during chemotherapy and survival outcomes of patients with breast cancer enrolled in a cooperative group clinical trial (SWOG S0221). J Clin Oncol. 8, 804-814.
6 Arbeitsgemeinschaft Prävention und Integrative Onkologie der Deutschen Krebsgesellschaft (2020). Faktenblatt: Vitamin C. file:///C:/Users/gerd-/AppData/Local/Temp/Vitamin%20C_Faktenblatt_Fachleute_2020.pdf
7 Chou, R., Deyo, R., Friedly, J., Skelly, A., Hashimoto, R., Weimer, M., Fu, R., Dana, T., Kraegel, P., Griffin, J., Grusing, S. & Brodt, E. D. (2017). Nonpharmacologic therapies for low back pain: A systematic review for an American college of physicians clinical practice guideline. Ann Intern Med. 7, 493-505.
8 Yang, J. W., Wang, L. Q., Zou, X., Yan, S. Y., Wang, Y., Zhao, J. J. et al. (2019). Effect of acupuncture for postprandial distress syndrome: A randomized Clinical trial. Ann Intern Med. 172, 777-785.
9 Liu, Y., Yang, L. T., Long, W. J., Wang, L. J. & Wang, Z. H. (2020). Medication rules of traditional Chinese medicine for the treatment of premature ejaculation: An analysis based on data mining. Zhonghua Nan Ke Xue. 7, 650-655.
10 Arbeitsgemeinschaft Prävention und Integrative Onkologie der Deutschen Krebsgesellschaft (2020). Faktenbaltt: Traditionelle Chinesische Medizin. file:///C:/Users/gerd-/AppData/Local/Temp/Traditionelle%20Chinesische%20Medizin_Faktenblatt_Fachleute_2020.pdf
11 Federspiel, C., Herbst, V., Ernst, E. (2005). Die Andere Medizin. Berlin, Stiftung Warentest.