Notfallmedizinern und Rettungssanitätern kommt im medizinischen Kinderschutz eine besondere Bedeutung zu, denn sie sind die ersten am Unfallort, denen der Unfallhergang geschildert wird und die den Unfallort und die häusliche Situation in Augenschein nehmen. Das sind wertvolle Informationen, die Rückschlüsse auf eine mögliche Gefährdung von Kindern ermöglichen, erklären Oliver Berthold, Leiter der Kinderschutzambulanz an den DRK Kliniken Berlin Westend, und Mitarbeiter in der Zeitschrift Notfallmedizin up2date (Georg Thieme Verlag).
Auffälligkeiten sollten daher unbedingt dokumentiert werden. Doch welche Hinweise sprechen dafür, dass das Kindeswohl bedroht ist? Ist das Kind selbst der Patient, ist es auf den ersten Blick oft schwer einzuschätzen, ob Verletzungen durch einen Unfall oder durch Gewalteinwirkung entstanden sind.
Dennoch gibt es Anhaltspunkte, die auf eine Kindesmisshandlung hindeuten können und zu besonderer Aufmerksamkeit Anlass geben sollten. Auffällig ist es etwa, wenn der von den Sorgeberechtigten geschilderte Unfallhergang nicht zu den Verletzungen passt, wenn der Notdienst erst verzögert gerufen wurde, oder wenn das Kind mehrere Verletzungen unterschiedlichen Alters aufweist.
Auch die Art der Verletzung kann den Verdacht auf Misshandlung begründen. Blutergüsse bei Säuglingen sollten generell zu einer genaueren Untersuchung Anlass geben, bei älteren Kindern zumindest dann, wenn sie an eigentlich geschützten, weichen Körperstellen wie Ohren, Wangen oder Genitalien auftreten. Auch Rippenfrakturen oder gleichzeitige Frakturen mehrerer Knochen gelten als hochspezifische Hinweise auf Gewalteinwirkung.
So wird der Anteil misshandelter Kinder in der Gruppe der unter 36 Monate alten Patienten mit Frakturen mit bis zu 12 % angegeben. Damit sind Misshandlungen in dieser Altersgruppe die zweithäufigste Frakturursache nach Stürzen. Multiple Frakturen, Rippenfrakturen sowie „Korbhenkelfrakturen“ (metaphysäre Eckfrakturen) gelten in jedem Alter als hochspezifisch.
Weiter sind bestimmte Hautbefunde so spezifisch, dass sie unmittelbar den Verdacht auf eine Fremdeinwirkung auslösen müssen. Bei Kindern sind dies am häufigsten Bissmarken und Zigarettenverbrennungen. Diese sind kreisrund und haben in der Regel einen Durchmesser von 0,8 cm bis 1 cm.
Im Akutfall ist es wichtig, den Rechtsrahmen des eigenen Handelns zu kennen. In Fragen der Kindesmisshandlung ist für medizinische Heilberufe vor allem das Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG, www.gesetze-im-internet.de). Es sieht in § 4 ein gestuftes Vorgehen vor, wenn Fachkräfte sog. „gewichtige Anhaltspunkte“ für eine Kindeswohlgefährdung wahrnehmen.
Grundsätzlich ist in unklaren Situationen der Transport ins Krankenhaus erforderlich, fordern die Autoren. Dies sollte mit einem notwendigen medizinischen Abklärungsbedarf und der erheblichen Besorgnis um das Kind begründet werden. So bleibe man in der Kommunikation mit den Eltern einerseits möglichst authentisch, vermeide aber eine Diskussion um die Frage, ob das Kind misshandelt wurde.
Unklare Situationen dürfen und sollen zur Klärung an das Jugendamt weitergegeben werden. Stehe keine Kontaktmöglichkeit zum Jugendamt zur Verfügung, müsse im Einzelfall geprüft werden, ob die Zuziehung der Polizei notwendig und angemessen zum Schutz des Kindes ist oder ob eine verspätete Information des Jugendamtes, z. B. am nächsten Werktag, vertretbar erscheine.
Berthold, O et al. (2020), Notfallmedizinische Aspekte der Kindesmisshandlung. Notfallmedizin up2date 3, 299–302
G.-M. Ostendorf, Wiesbaden