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NVL „Unipolare Depression“: Zurückhaltung bei ­komplementär- und alternativmedizinischen Methoden

Die Nationale VersorgungsLeitlinie (NVL) „Unipolare Depression“ wurde am 29. September 2022 durch die Träger des NVL-Programms verabschiedet und ist bis zur nächsten Überarbeitung bzw. spätestens bis 29. September 2027 gültig. Träger sind die Bundesärztekammer, die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF).

Neu ist etwa, dass in der aktuellen NVL auch Empfehlungen zu komplementär- und alternativmedizinischen Interventionen gemacht werden, und zwar mit folgender Begründung:

Es existiert eine Vielzahl von komplementär- und alternativmedizinischen Interventionen (CAM), die bei Depressionen bzw. depressiver Symptomatik eingesetzt werden. Dazu zählen ernährungsbasierte Ansätze sowie somatische bzw. mentale Ansätze. Mit Ausnahme von Johannniskraut und einzelnen den CAM zugeordneten achtsamkeitsbasierten Interventionen ist die Evidenzlage zur Effektivität von CAM bei Patientinnen und Patienten mit manifesten unipolaren Depressionen schwach. Aufgrund der Versorgungsrelevanz (häufige Nachfrage von Patientinnen und Patienten, mediale Präsenz) wird die Evidenz für ernährungsbasierte Interventionen und Akupunktur dargestellt.

Zu ernährungsbasierten Interventionen werden folgende Empfehlungen gegeben:

  • Wenn kein Mangel an Mikronährstoffen vorliegt, sollen Patientinnen und Patienten mit depressiven Störungen Nahrungsergänzungsmittel nicht empfohlen werden.
  • Patientinnen und Patienten mit depressiven Störungen sollen dazu ermuntert werden, sich ausgewogen und gesund zu ernähren.
  • Die Rationale dafür lautet:

    Für keine ernährungsbasierte Intervention mit Mikronährstoffen (Vitamine, Mineralien, Spurenelemente, Fett- und Aminosäuren u. a.) gibt es aus Sicht der Leitliniengruppe belastbare Evidenz für Patientinnen und Patienten mit depressiven Störungen. Dies gilt auch für Omega-3-Fettsäuren, trotz der im Vergleich zu anderen ernährungsbasierten Interventionen breiteren Evidenzbasis. Dem unsicheren Nutzen steht als Schadenspotenzial das Risiko einer mangelnden Adhärenz bzw. Ablehnung evidenzbasierter Therapien gegenüber. Hinzu kommen die von den Patientinnen und Patienten
    privat zu tragenden Kosten, die Gefahr von Interaktionen und eine mögliche Verstärkung eines ungesunden Lebensstils. Aus diesem Grund erscheint der Leitliniengruppe eine Negativ-Empfehlung gerechtfertigt.

    Die konsensbasierte Empfehlung für eine gesunde und ausgewogene Ernährung zielt nicht nur auf die Erhaltung oder Verbesserung der allgemeinen Gesundheit, sondern auch auf die Überwindung von Antriebslosigkeit und die Aktivierung der Patientinnen und Patienten, mit denen die Beschaffung gesunder Lebensmittel und die Zubereitung von Mahlzeiten verbunden ist.

    Zur Bedeutung des Mikrobioms führt die Leitliniengruppe aus:

    Forschungsergebnisse zur Rolle der Mikrobiota-Darm-Hirn-Achse deuten darauf hin, dass sich das Darmmikrobiom von Patientinnen und Patienten mit depressiven Störungen von dem gesunder Kontrollpersonen unterscheidet. Es gibt auch bereits erste klinische Interventionstudien bei depressiven Störungen, z. B. mit Präbiotika, Antibiotika oder Stuhltransplantationen. Die Evidenz bezüglich der spezifischen Assoziationen und insbesondere bezüglich der Interventionen ist derzeit aus Sicht der Leitliniengruppe jedoch noch nicht ausreichend, um valide Aussagen treffen zu können.

    Zur Akupunktur wird festgestellt:

    Insgesamt schätzt die Leitliniengruppe die Evidenz zu Akupunktur bei depressiven Störungen als wenig belastbar ein und verzichtet daher auf die Formulierung einer Empfehlung. Da der überwiegende Anteil der Studien in Asien durchgeführt wurde, ist zudem unklar, inwieweit die Ergebnisse auf Deutschland übertragen werden können. Dem unsicheren Nutzen steht als Schadenspotenzial das Risiko einer mangelnden Adhärenz bzw. Ablehnung evidenzbasierter Therapien gegenüber. Hinzu kommen die von den Patientinnen und Patienten privat zu tragenden Kosten.

    In der Metaanalyse eines qualitativ hochwertigen Cochrane-Reviews zum Vergleich von Akupunktur und Scheinakupunktur ergab sich eine geringgradige Reduktion der depressiven Symptomatik, wobei der Effekt unterhalb der Relevanzschwelle lag. Die Evidenzqualität wird aufgrund der hohen Heterogenität der Studien, dem hohen Verzerrungsrisiko und Hinweisen auf Publikationsbias als sehr niedrig bewertet. Die Effekte gegenüber Warteliste oder Standardtherapie waren moderat; zum
    Vergleich mit medikamentöser oder Psychotherapie konnten aufgrund der schwachen Evidenz keine Aussagen getroffen werden. Die meisten Studien berichteten keine Daten zur Sicherheit.

    G.-M. Ostendorf, Wiesbaden