Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch

Behandlungskonzepte beim Reizdarmsyndrom

Angekündigt bereits vor über einem Jahr, wurde das aktuelle Update der S3-Leitlinie „Reizdarmsyndrom“ (AWMF-Registriernummer: 021-016; gültig bis 30.3.2026) nun im Juli 2021 veröffentlicht. Die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und die Deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität e. V. (DGNM) fassen darin – in Zusammenarbeit mit 17 weiteren Fachgesellschaften – den aktuellen Wissensstand zu Diagnostik und Behandlung dieses (gerade auch aus gutachtlicher Sicht) oft problematischen Krankheitsbildes zusammen. Unter anderem wurden dabei die Kapitel zur Ernährung, zur psychotherapeutischen Behandlung und auch zu komplementären Therapien deutlich erweitert, so eine Pressemitteilung der DGVS vom 21.7.2021.

„Das Reizdarmsyndrom ist ein komplexes Erkrankungsbild, bei dem Störungen zwischen Zentral- und Darmnervensystem sowie der Darm-Hirn-Achse eine Rolle spielen“, erklärte Viola Andresen, Koordinatorin der Leitlinie und Leiterin des Ernährungsteams am Israelitischen Krankenhaus Hamburg. Auslöser können vorangegangene gastrointestinale Infektionen sein, auch findet sich mitunter ein Zusammenhang mit psychischen Faktoren. Die Erkrankung wird anhand des vorherrschenden Symptoms in Subtypen unterteilt: den Obstipations-Typ, den Diarrhoe-Typ, den Misch-Typ (bei dem sowohl Diarrhoe und Obstipation dominieren können), den Schmerz-Typ und den Bläh-Typ; oft treten diese Symptome auch in variablen Kombinationen auf.

Die Diagnose des Reizdarmsyndrom erfolgt per gezielter Ausschlussdiagnostik: Schwerwiegende Erkrankungen mit ähnlicher Symptomatik – etwa Darmkrebs, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Nahrungsmittelintoleranzen – müssen ausgeschlossen werden.  Bei der Behandlung ist oft eine Kombination verschiedener Ansätze sinnvoll: Allgemeine, symptomunabhängige Maßnahmen werden mit spezifischen, symptomorientierten Therapien, etwa Medikamenten, kombiniert.

Zu den wichtigen, symptomunabhängigen Ansätzen gehört die Ernährung: „Obwohl der Einfluss der Ernährung auf die Entstehung eines Reizdarmsyndrom umstritten ist, zeigt in der Therapie die sogenannte Low-FODMAP-Diät für fast alle Reizdarmsyndrom-Typen eine gute Wirksamkeit“, so Andresen. Auch psychotherapeutische Verfahren helfen vielen Betroffenen: Geeignet sind laut Leitlinie die kognitive und die psychodynamische Verhaltenstherapie, die Bauch-gerichtete Hypnose sowie bestimmte Verfahrensmischformen. Die medikamentöse Therapie des Reizdarmsyndroms sollte stets symptomorientiert erfolgen, betonen die Leitlinienautoren. Mit einem eigenen Hauptkapitel für jedes Leitsymptom – Durchfall, Verstopfung, Bauchkrämpfe und Blähungen – listet die Leitlinie aktualisierte Empfehlungen sowohl für synthetische als auch verschiedene pflanzliche Substanzen (insbesondere Pfefferminzöl) auf.

„Weil es beim Reizdarmsyndrom oft zu übertriebener und irreführender Diagnostik kommt, gehen wir in der Leitlinie auch auf wissenschaftlich nicht-fundierte diagnostische Verfahren ein und bewerten diese“, betonte Peter Layer, Direktor der Medizinischen Klinik am Israelitischen Krankenhaus Hamburg und ebenfalls Koordinator der Leitlinie. So raten die Autoren von IgG-Tests zur Diagnose von vermeintlichen Nahrungsmittelunverträglichkeiten sowie von kommerziell erhältlichen Stuhltests zur Analyse des Darmmikrobioms (Dysbiose-Diagnostik) ab:

Hohe IgG-Titer können durch eine Vielzahl an pathophysiologischen Störungen (z. B. Darmpermeabilität), Erkrankungsmechanismen (intestinale IgE-Bildung) oder chronische Entzündungen (z. B. eosinophile gastrointestinale Erkrankungen) entstehen. Die allergologischen Fachgesellschaften auf nationaler und europäischer Ebene lehnen eine Empfehlung solcher Diagnostik nach dem aktuellen Stand des Wissens explizit ab.

Obwohl es einige Daten gibt, die eine Dysbiose beim Reizdarmsyndrom nachweisen, besteht zurzeit mit der Bestimmung des Mikrobioms kein validierter diagnostischer und therapeutischer Ansatz. Offen ist auch die Interpretation der Stuhlmikrobiom-Daten hinsichtlich klinischer Konsequenzen – so ist etwa ungeklärt, was das mikrobiologische Therapieziel sein soll. Zudem befindet sich die Untersuchung des Stuhlmikrobioms mit der Entwicklung neuer analytischer (molekulargenetischer) Methoden im Wandel.

Eine Behandlungsmöglichkeit zielt allerdings auf die Modulation des Darm-Mikrobioms ab, etwa durch Probiotika: Ausgewählte Probiotika sollten in der Behandlung des Reizdarmsyndroms eingesetzt werden, so die Leitlinie. „Probiotika sind beim Reizdarmsyndrom nicht generell wirksam oder unwirksam – vielmehr unterscheidet sich ihr Effekt individuell von Patient zu Patient sowie je nach Bakterienstamm und L eitsymptom“, erklärte Andresen dazu. ZuPräbiotika kann dagegen keine Empfehlung abgegeben werden.

Viszerale Osteopathie und Darm-Massage können den Patienten angeboten werden; auch Akupunktur und Moxibustion können bei Patienten mit Reizdarmsyndrom, v. a. mit dem Subtyp Diarrhoe, zur Steigerung der Lebensqualität eingesetzt werden (obwohl ein Akupunktur-spezifischer Effekt fraglich ist). Dagegen kann zur Behandlung mit Traditioneller Chinesischer Medizin (TCM) keine Empfehlung abgeben werden. Homöopathische Anwendungen und Fußzonenreflexmassage können schließlich nicht empfohlen werden; von einer Darmlavage (Irrigation) zur Behandlung des Reizdarmsyndroms wird sogar ausdrücklich abgeraten („... sollte nicht durchgeführt werden“).

https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/021-016.html

G.-M. Ostendorf, Wiesbaden